Gomel-Projekt Oktober 2022
Vor ziemlich genau drei Jahren saßen wir voller Vorfreude auf gepackten Koffern, um zu unseren Kindern nach Molcad zu fahren. Damals ahnte niemand, dass es die vorerst letzte persönliche Begegnung mit den Kindern im Internat sein sollte. Nun warten wir seit dieser Zeit darauf, dass wir unsere durch äußere Umstände erzwungene Fernbeziehung wieder in ein direktes Treffen umwandeln können.
Es fällt uns in der aktuellen Situation nicht leicht, Mittel und Wege zu finden, die es uns ermöglichen, unsere humanitäre Grundidee fortzusetzen. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass nun schon über einen langen Zeitraum keine persönlichen Kontakte stattfinden dürfen. Ein solches Projekt lebt aber eigentlich von gemeinsamen Aktivitäten. Es gibt viele Gründe dafür, aus denen wir trotz der angespannten politischen Situation nach Alternativen für unsere humanitäre Zusammenarbeit suchen. Die Jahre seit 1999 sind ein fester Bestandteil der Geschichte der Gutenberg-Schule. Das humanitäre Engagement hat unsere Bildungs- und Erziehungsarbeit wesentlich mit geprägt. Welche Ausstrahlungskraft dieses Projekt u.a. auf die Schüler hat, zeigt sich z. B. darin, dass man – egal ob an der Supermarktkasse, beim Friseur, auf der Straße, in Ämtern, beim Arzt – häufig von ehemaligen Schülern angesprochen wird. Die ersten Fragen lauten dann: „Gibt es das Projekt noch?“ und „Wie geht es den Kindern in Molcad?“
Es gibt einen weiteren Grund, an unseren Erinnerungen festzuhalten: Wir sind fest davon überzeugt, dass wir irgendwann – den genauen Zeitpunkt können wir nicht benennen, weil er nicht in unserem Entscheidungsrahmen liegt – frei von medizinischen und politischen Barrieren und Zwängen in den Zug nach Molcad steigen oder am Berliner Hauptbahnhof unsere Gäste empfangen werden.
Bis dahin stehen wir vor der zugegeben schwierigen Aufgabe, ohne persönliche Begegnungen die humanitäre Arbeit im Rahmen unseres Projektes am Leben zu erhalten. Die Kontakte beschränken sich z.Zt. auf kurze schriftliche Mitteilungen und eine sehr aufmerksame Auswertung der Homepage des Internats. Hier finden wir Hinweise darauf, wie wir trotz aller Einschränkungen helfen können. Zu Beginn des Schuljahres 2022/23 schickten wir Pakete mit dringend benötigten Schul- und Bastelmaterialien ins Internat. Wir wissen genau, dass all unsere Zuwendungen zu 100% bei „unseren“ Kindern ankommen und von ihnen genutzt werden, dass sie helfen unser Ziel „Wir schenken unseren Kindern ein Lächeln“ und „Hand in Hand in eine bessere Welt für alle Kinder der Erde“ zu erreichen. Diese Überzeugung hilft uns dabei, immer wieder neue Ideen für die Fernbeziehung zu entwickeln.
Was erwartet uns im Jahr 2022?
Realistischer Weise betrachtet steht auch das neue Jahr 2022 unter keinem guten Stern: Die Pandemie schlägt nach wie vor ihre Wellen und die politische Lage in Belarus ist weiterhin angespannt. Unsere Überlegungen für ein hybrides Zirkusprojekt, das teilweise digital und teilweise in Präsenz durchgeführt werden sollte, wurde leider nicht von den Fördergebern bewilligt. Den abgesagten Wiedersehen im Herbst 2020, Frühjahr 2021 und Herbst 2021 folgen so nun leider auch keine Begegnungen im Jahr 2022. Wir behalten dennoch die Hoffnung und bleiben in Kontakt. Wir gehen weitere Projekte an: Die Vorbereitungen für das digitale Benefizkonzert gehen in die letzte Runde.
Außerdem planen wir ein „Erinnerungsprojekt“, in dem wir alle Menschen zu Wort kommen lassen, die in „vorpandemischen Zeiten“ an einem Austausch zwischen dem Internat Molčad und der Gutenberg-Schule teilnehmen konnten. Damit möchten wir den eigentlichen Charakter des Gomel-Projekts, all die Emotionen, Eindrücke und Erinnerungen lebendig festhalten. Der Blick in die Vergangenheit soll zugleich ein zuversichtlicher Blick in die Zukunft sein mit der Hoffnung, in absehbarer Zeit wieder eine echte Begegnung zu ermöglichen!
Gomel-Projekt: Rückblick und Ausblick
Die letzten fast zwei Jahre erforderten viel Kreativität, um das Gomel-Projekt trotz der entfallenen persönlichen Beziehungen, trotz der schwierigen Umstände weiterhin in seinem Sinne zu gestalten. Alternativen waren Briefe, Bastelaktionen, Kunstaustausch und ein sportliches „Aufeinander Zugehen“ .
Zum Jahresende 2021 gab es weitere kleinere Projekte. Traditioneller Weise nahm die Gutenberg-Schule im Rahmen des Gomel-Projektes am gemeinnützigen Lichtenberger Weihnachtsmarkt, dem „Lichtermarkt“ teil, um dort an zwei Ständen Köstlichkeiten und Trödel zu verkaufen. Doch fiel dieser Tag das zweite Jahr aufgrund der Corona-Krise aus. Wir überlegten uns zwei Aktionen als Ersatz, um den Kindern und unseren Partnern aus Molčad‘ zu zeigen, dass wir uns nach wie vor engagieren.
Paket-Geschenkaktion und Grußkarten
Wir überraschten die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in Molčad‘ mit kleinen Geschenken zu Weihnachten: Süßigkeiten, Schreibwaren, Anhänger und andere Aufmerksamkeiten. Vier große Pakete wurden gepackt und gingen Ende November 2021 auf die Reise. Solch ein Versand ist gar nicht so leicht wegen der Zollbestimmungen und eine äußerst knifflige Aufgabe. Ein besonderer Dank sei hier unserer „Post-Expertin“ Ute Gdanietz ausgesprochen, die in mühevoller Kleinstarbeit alle Geschenkutensilien so zusammenstellte, dass sie auf Reisen gehen konnten! Außerdem schrieben die Russisch- Kurse der Gutenberg-Schüler Neujahrsgrußkarten für die Klassen in Molcad‘. Angekommen sind drei der vier Pakete, eines kam leider abhanden.
Wie ihr vielleicht wisst, in Belarus überreicht Ded Moroz (Väterchen Frost) zum Neujahrsfest (russisch: Väterchen Frost) den belarussischen Kindern Geschenke, traditionell begleitet ihn dabei seine Enkelin und Helferin Sneguročka. Schnappschüsse von der Geschenk- Übergabe:
Es haben sich alle im Internat Molčad‘ sehr darüber gefreut, dass wir trotz der schwierigen Situation an sie gedacht haben. Besonders berührt waren alle Erwachsenen über die Aufmerksamkeiten.
Verkaufsaktion auf dem Schulhof der Gutenberg-Schule
Statt der Verkaufsstände auf dem ausgefallenen Lichtenberger Adventsmarkt kamen wir auf die Idee, einen kleinen Verkauf auf dem Schulhof der Gutenberg-Schule durchzuführen. Gedacht, gesagt, geplant – getan: Am 20.12.2021 gab es in den Hofpausen kulinarische warme Leckereien vom Grill und vom Herd. Möglich war diese Aktion neben der organisatorischen Planung vor allem durch die Unterstützung der helfenden Schüler*innen (Werbung und Verkauf) und den engagierten Eltern des Gomel-Teams (Zutaten, Zubehör und Verkauf). Herzlichen Dank! Es konnten rund 300 Euro eingenommen werden, die für Projektausgaben genutzt werden.
B E R L I N – M O L C A D’ – B E R L I N
Ein gemeinsames Schuljahr beginnt – leider erneut auf Distanz
Traurig und leer stehen unsere sonst um diese Zeit schon gut gefüllten zahlreichen Gepäckstücke in der Ecke. Sollte Anfang Oktober ein Zug von Berlin in Richtung Baranovichi fahren, geht er ohne uns auf die Reise. Das klingt nicht gut, wäre da nicht ein Lichtblick: die gut gefüllte Ideenkiste, aus der viele Bastelarbeiten ans Tageslicht drängen: Sorgenfresser, Pinguine, Schneebälle mit lustigen Gesichtern und langen Schlenker-Beinchen, Schneefiguren…
Dem Projekt der “Raben-Generation- 2020” folgend, möchte uns die “Pinguin- Generation-2021” folgende Botschaft überbringen: „Liebe Raben-Kumpel, bitte rückt in den Molcader Regalen, Räumen und besonders in den Herzen der Kinder ein wenig zusammen, damit auch wir ein Plätzchen finden. Wenn unsere gemeinsamen Bilder durch ganz Belarus, Deutschland und vielleicht die ganze Welt fliegen, können wir zeigen, wie groß die Kraft von Kindern und Jugendlichen im Kampf um internationale Verständigung auch unter schwierigen Bedingungen ist.“
In einigen Monaten werden uns Fotos erreichen, von denen uns lustige Schneefiguren und Schneebälle anschauen. Spätestens dann werden wir verstehen, dass mehr als 1000 km kein Hindernis für eine gute Zusammenarbeit sein müssen.
Aufeinander zugehen: Ziel weit übertroffen – 2941 km geschafft!
Wir hatten uns vorgenommen, gemeinsam innerhalb eines Monats die Distanz zu unserer Partnerschule zu überwinden! Damit wollten wir uns symbolisch treffen, wenn wir uns schon nicht in Wirklichkeit sehen können wegen der schwierigen pandemischen und politischen Umstände seit fast zwei Jahren.
Die Entfernung zwischen Berlin und Molcad‘ in Belarus beträgt ca. 1000 km. Gemeinsam haben wir mehr als doppelt so viele Kilometer zurückgelegt! Insgesamt sind wir zwischen dem 20. September und 20. Oktober 2941 km gelaufen, spaziert, mit dem Fahrrad gefahren, per Pferd geritten und gewandert.
Vielen Dank an alle Mitwirkenden und Einsendungen! Jeder einzelne Schritt hat zu dem überwältigenden Ergebnis beigetragen. Unsere Hoffnung besteht weiterhin, dass aus einem symbolischen Treffen wieder ein echtes Wiedersehen wird, ob in Belarus oder in Berlin. Solange dies noch nicht möglich ist, halten wir weiterhin Kontakt im Rahmen von digitalen Projekten und Aktionen. Zum Beispiel so:
Bastelarbeiten in Molcad‘
“Dicht gedrängt, aber weich gepolstert durch viele „Kinderbastelsocken“, Filz, Wolle und mehr saßen wir, die Schneekinder, ca. eine Woche in einem engen Umzugskarton. Von den Kindern im Internat wurden wir freudig begrüßt! Unterdessen haben sich die Kinder wieder ans Lernen gewöhnt und wir konnten uns von der langen Reise erholen. Schaut selbst, was geschehen ist:
Mit großer Begeisterung haben die Kinder mit den Bastelarbeiten begonnen. Die ersten von uns Schneekindern bezogen das „Erinnerungsregal“ im Foyer des Internats. Andere warten darauf, dass sie etwas später die Fenster schmücken dürfen. Ihr dürft gespannt sein, wie es weitergeht.”
“Sorgenfresser” spielen für viele Kinder eine große Rolle. So werden sich viele kleine Molcader ihren individuellen “Sorgenfresser” nähen, um ihm alle Probleme anzuvertrauen. Wir haben aber noch eine andere Idee: Wie wäre es, wenn wir zwei ganz große “Sorgenfresser” herstellten, einen in Molcad, einen in Berlin? In sie “versenken”; wir unsere größte gemeinsame Sorge “Wird die derzeitige Situation, die nun schon so lange andauert und von der niemand weiß, wie lange wir mit ihr noch leben müssen, unsere über 22 Jahre andauernde Freundschaft auffressen?” Damit das nicht geschieht – Reißverschluss zu und erst wieder öffnen, wenn dieser Spuk vorüber ist.
Bei der Zusammenstellung der Ideen war uns besonders wichtig, dass verschiedenste Arbeitstechniken mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad zum Einsatz kommen, damit viele kleine und große Kinder aus Molcad‘ mitarbeiten können und wir auch aus der Ferne den Gemeinschaftssinn fördern können.
Wir danken an dieser Stelle ganz besonders Frau Kwauka, die seit der Projektfahrt 2018 als begleitendes Elternteil festes, engagiertes Mitglied im Gomel-Projekt ist. Vielen Dank für die genialen Ideen, die Zeit und Liebe, die du investierst! Deine Ideen sind in Präsenz und in Distanz umsetzbar und dieser Einsatz dafür, dass die Verbindung zum Internat trotz der vielen Schwierigkeiten für die Kinder erlebbar bleibt, ist einmalig.
Ein erfolgreiches Schuljahr wünscht euch
euer “Gomel-Team”
“Fernbeziehungen” als Ersatz für persönliche Begegnungen
Sehnsüchtig warten wir seit über einem Jahr darauf, uns endlich wieder auf ein Treffen mit unseren belarussischen Freunden vorbereiten zu können, egal, ob in Berlin oder in Molcad‘. Aber es vergeht Woche für Woche, ohne dass unser Wunsch in Erfüllung geht.
Wir geben nicht auf, suchen und finden neue Möglichkeiten des virtuellen Austausches und dem Austausch per Post über Grußkarten, Bastel-Aktionen und einem gemeinsamen Kunstprojekt. Das digitale Benefizkonzert und weitere Ideen sind in Planung. Fernbeziehungen sind zwar keine Alternative zu persönlichen Begegnungen, dennoch halten sie den Kontakt am Leben und die Vorfreude auf ein Wiedersehen aufrecht.
Wenn man die Reaktionen der Kinder liest und sieht, erkennt man, dass es uns trotz aller Schwierigkeiten gelingt, unseren Kindern in Molcad ein Lächeln in die Gesichter zu zaubern. Das wird unserem ursprünglichen Anspruch zwar nicht gerecht, ist aber wenigstens ein kleiner Schritt. Uns bleibt der hoffnungsvolle Ausblick auf ein Wiedersehen im Frühjahr 2022 in Berlin.
Wie sehen unsere Pläne für 2021 aus?
Leider können wir auf die weitere Entwicklung nur wenig Einfluss nehmen. Aber wir haben uns entschlossen, auf alle Fälle einen Besuch von Molcader Kindern für den März 2021 bei uns in Berlin vorzubereiten. Im Herbst 2021 planen wir eine Reise nach Molcad`, natürlich alles unter dem Aspekt der Wahrung einer höchstmöglichen Sicherheit.
In der Zwischenzeit versuchen wir möglichst viele Kontakte aufrecht zu erhalten. Ein Mittel dazu sind unsere “Sockenraben” (s. Abb.). “Baupläne” und Material liegen bereit und werden demnächst mit von uns angefertigten “Prototypen” die Postreise nach Molcad` antreten. Auch Weihnachts- und Neujahrsgrüße wollen wir senden. So spüren die Kinder, dass wir trotz aller Einschränkungen an sie denken.
Wir rufen alle Schüler, Lehrer, Eltern und Freunde unseres Projektes dazu auf, gemeinsam nach Wegen des Kontaktes zu suchen.
02.10.2020
Dieses Datum sollte der Beginn unserer Projektreise nach Molcad` werden, im 21. Jahr unserer gemeinsamen Arbeit. Nun müssen wir uns mit einem wehmütigen Rückblick zufrieden geben. Sehr zeitig begannen wir mit der Vorbereitung. Es sollte alles perfekt werden. Doch dann kam es ganz anders: Schulschließungen, Reisewarnungen, Reiseverbote … Aus war der Traum vom Wiedersehen am 03.10.2020. Im April mussten wir alles schweren Herzens offiziell absagen.
Um uns ein wenig zu trösten, schauen wir zurück auf das Jahr 2020, unser Jubiläumsjahr. Natürlich hatten wir für 2020 viele neue Ideen, wie wir die Zeit gemeinsam verbringen wollten. Nun packen wir sie in einen großen Koffer und warten auf das nächste Jahr.
01.09.2020
So hat das neue Schuljahr in Molcad` begonnen.